Eine Investitionsagenda für Deutschland
Historische Umbrüche verändern die Welt
Das Umfeld für Politik und Wirtschaft war wohl noch nie so komplex und unübersichtlich wie derzeit. Die geopolitische Neuordnung verursacht Protektionismus und fragile Lieferketten. Die neuen Kriegsgefahren erhöhen massiv die Anforderungen an Verteidigung und Sicherheit. Die Energiewende sorgt mindestens übergangsweise für höhere Energiepreise. Und die digitale Revolution, die sich mit den jüngsten Entwicklungssprüngen der Künstlichen Intelligenz noch einmal beschleunigt hat, disruptiert viele etablierte Industrien und Geschäftsmodelle. Alles das verursacht Unsicherheit, die negativ auf das Investitionsverhalten privater Unternehmen wirkt. Die öffentlichen Haushalte sind angespannt. Das gilt für Deutschland, aber auch insgesamt für die Europäische Union. Der Draghi-Report zur Wettbewerbsfähigkeit der EU und das Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung haben eklatante Defizite in den Wachstums- und Innovationsbedingungen sowie gravierende Fähigkeitslücken festgestellt. Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität müssen vor diesem Hintergrund integriert gedacht werden und lösen einen enormen Investitionsbedarf aus.
Die deutsche Bundesregierung steht vor der großen Aufgabe, die Wirtschaft fit zu machen für die Zukunft. Die Herausforderungen sind gewaltig, die makroökonomischen Rahmenbedingungen schwierig. Welche Investitionen sind jetzt notwendig und welche Reformen müssen dringend umgesetzt werden? Die Politik muss jetzt mutig und klug handeln.
Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor des Centrums für Europäische Politik und Vorstandsmitglied der Stiftung Ordnungspolitik (Bild: © Tim Flavor)
Doch wie soll dieser Investitionsbedarf finanziert werden?
Deutschland leidet unter einer tiefen strukturellen Wachstumsschwäche. Das Potenzialwachstum ist immer weiter gesunken, mittlerweile liegt die Potenzialrate deutlich unter einem Prozent pro Jahr. Das hat nicht nur demografische Gründe. Über fast zwei Jahrzehnte hinweg – beginnend mit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 – wurden Strukturen konserviert, Reformen unterlassen und Bürokratie aufgebaut. Billiges Geld und staatliche Programme haben den Strukturwandel und die damit einhergehende, produktivitätssteigernde und neue Wachstumspotenziale schaffende Marktbereinigung immer weiter hinausgezögert. Der Kapitalstock ist dadurch immer weiter gealtert. Das betrifft nicht nur Brücken, Straßen und Schulen. In neue Technologien und digitale Infrastrukturen wurde ebenfalls zu wenig investiert, so dass auch die Innovationsfähigkeit gesunken ist. Aus dem gegenwärtigen Kapitalstock kommt also kaum noch Wachstum. Investitionen müssen den alternden Kapitalstock fit machen für die Welt von Morgen, in der Resilienz und Innovation immer wichtiger werden.
Neues Wachstum oder nur mehr Schulden?
Die strukturelle Konservierung der vergangenen Jahre hat zwei Konsequenzen: Zum einen ist der Investitionsstau immer größer geworden, zum anderen – gewissermaßen spiegelbildlich dazu – ist das Potenzialwachstum immer weiter gesunken. Der fiskalische Spielraum für die Finanzierung dringend notwendiger Investitionen ist dadurch immer kleiner geworden. Umgekehrt gilt: Aus dieser Situation kommt man nur dadurch heraus, dass man jetzt gezielt in neues Wachstum investiert.
Die neue Bundesregierung will genau das tun. Überwiegend mit neuen Schulden. Verteidigungsausgaben über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen unbegrenzt schuldenfinanziert werden können. Daneben gibt es ein neues Sondervermögen für Infrastruktur und Klima über 500 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. Das alles ist wirtschafts- und wachstumspolitisch richtig. Und doch gibt es wichtige Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit das viele Geld auch wirklich zu Wachstum führt und nicht am Ende die Schuldentragfähigkeit der öffentlichen Haushalte reduziert. Denn die Umverteilungslast des Staates dürfte in den kommenden Jahren steigen, die Konsumansprüche steigen und der Investitionsspielraum entsprechend sinken. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der kommenden Legislaturperiode ist daher von großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft.
Strukturelle Reformen müssen die Investitionen flankieren
Die Investitionen der kommenden Jahre müssen den Kapitalstock transformativ modernisieren, damit neues Wachstum und neue Innovationen möglich werden. Mehr Geld in alte Strukturen zu kippen, löst keine Probleme. Mehrere Voraussetzungen müssen für den Erfolg der Investitionsoffensive erfüllt sein:
- Die Investitionen müssen politisch klar priorisiert werden. Der politische Investitionsbegriff ist typischerweise sehr weit gefasst. Oft fallen auch eher konsumtive Ausgaben darunter. Die Sanierung von Schultoiletten und Brücken ist fraglos wichtig, sie erzeugt aber kaum Wachstum. Doch Politik handelt oft nach kurzfristigen Motiven.
- Werden öffentliche Investitionen in Sektoren getätigt, in denen die Produktionskapazitäten beschränkt sind, etwa infolge von Fachkräftemangel, erzeugen die Investitionen steigende Preise und verdrängen private Investitionen. Makroökonomisch drohen steigende Inflation und Zinsen, die die gesamtwirtschaftliche Investitionsneigung reduzieren. Die Ausweitung der Verschuldungsspielräume sagt noch nichts über reale Investitionsspielräume aus.
- Öffentliche Investitionen können in ineffizienten Strukturen versickern. Eine Modernisierung und Vereinfachung von Verwaltungsprozessen ist daher zwingende Voraussetzung für die Effizienz und die Effektivität der Investitionen. Doch viel Geld macht bequem.
Und es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Die Investitionen in die Verteidigung und in den Klimaschutz sind wichtig. Aber sie führen zunächst nicht dazu, mehr Güter und Dienstleistungen produzieren zu können. Sie sind also nicht direkt produktivitäts- und wachstumswirksam. Es wäre daher finanzpolitisch ehrlicher und haushaltsrechtlich adäquater gewesen, diese Investitionen dort abzubilden, wo sie hingehören, nämlich im laufenden Haushalt.
Was die Politik nun wirtschafts- und ordnungspolitisch tun muss
Alle diese Umstände machen deutlich, dass die Politik bisher lediglich den einfachsten Teil geschafft hat, nämlich sich die Finanzierungs- bzw. Verschuldungsspielräume zu beschaffen. Der schwierigste liegt noch vor ihr, nämlich die Investitionen politisch gegen wachsende und opportune Konsum- und Umverteilungsansprüche zu priorisieren, die realen sektoralen Investitionsspielräume zu identifizieren und die begleitenden institutionellen Reformen durch- und umzusetzen.
Was die Politik jetzt tun muss, um die Effizienz und Effektivität der öffentlichen Mittel zu stärken, sind folgende Maßnahmen:
- Konsequent in die neuen Basistechnologien und Infrastrukturen der Zukunft zu investieren. Sie sind es, die neues Wachstumspotenzial generieren. Der Staat sollte dabei möglichst wenig in sektorale und vertikale Strukturen eingreifen.
- Strukturelle Hebel zu identifizieren, die über ein „crowding-in“ privater Investitionen die Wachstumsdynamik verstärken können. Dies sind vor allem Infrastrukturen, die die Transformation der Wirtschaft beschleunigen, indem sie Skalierungsmöglichkeiten und Kostendegression schaffen.
- Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und Bürokratie für Unternehmen zu reduzieren. Die Effizienz von Institutionen und die Innovation von Unternehmen sind wesentliche Treiber des strukturellen Wandels.
- Steuerliche Anreize für private Investitionen zu stärken, denn ohne private Investitionen wird es nicht gehen. Zunehmende Investitionsrisiken müssen schließlich auch finanziert werden.
Wie Leasing einen Beitrag leisten kann
Leasing dann dazu beitragen, die Finanzierungs- und Investitionsspielräume zu erhöhen. Es ermöglicht eine Finanzierung ohne viel Liquidität und Eigenkapital, außerdem optimiert es Nutzungs- und Finanzierungsmodelle. Leasing fördert zudem die Transformation, indem es kürzere Innovationszyklen schneller in den Markt bringt und über entstehende Zweitmärkte hilft, neue Technologien zu skalieren. Leasing ergänzt und mobilisiert grundsätzlich privates Geld. Dafür müssen indes Investitionen breit genug definiert werden, um Leasing in bestehende Förder-, Vergabe- und Investitionsprogramme zu integrieren.
Jetzt pragmatisch, mutig und klug handeln
Die Politik muss angesichts der großen Herausforderungen und der begrenzten Spielräume vor allem pragmatisch, mutig und klug handeln. Nur so lässt sich der Weg in eine völlig veränderte Zukunft bewältigen. Die notwendigen Schritte abermals aufzuschieben, wäre das größte Risiko, das die Politik heute eingehen könnte.

Prof. Dr. Henning Vöpel ist ein deutscher Ökonom mit Schwerpunkt auf Konjunktur, Geldpolitik und digitaler Wirtschaft. Seit Januar 2022 ist er Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep), einer ordnungspolitischen Denkfabrik mit Standorten in Berlin, Freiburg, Paris und Rom, sowie Vorstand (CEO) der Stiftung Ordnungspolitik (sop). Zudem lehrt er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business & Law School in Berlin.